gedanke

Gewöhnlich sagt man, der Mensch solle nach seinen Taten, und nicht nach seinen Worten, beurteilt werden. Nicht (leere) Worthülsen, sondern was jemand macht, also die Taten, wären demnach das Entscheidende. Kurz: Es geht darum, was jemand leistet.

Nun ist aber kein Geheimnis, dass Menschen bereits durch unterschiedliche Prädispositionen, das ihnen zur Verfügung stehende soziale, kulturelle und ökonomische Kapital, unterschiedlich disponiert sind, Leistung zu erbringen. Nicht jeder hat dasselbe Leistungspotenzial, nicht jeder kann dieselbe Leistung erbringen.

So weit, so gut, denn die Gesellschaft beruhe schließlich auf einer Vielfalt an Leistungsnachfrage und -angebot, könnte man erwidern.

Nun kommt jedoch hinzu, dass Leistung in und von Gesellschaften höchst unterschiedlich bewertet und vergütet wird. Die Leistung einer medizinischen Pflegekraft wird in unseren Breiten etwa um ein Vielfaches weniger entgeltet und somit weniger wertgeschätzt als die eines Managers.

Leistung ist also nichts Anderes als ein von Menschen geschaffenes, soziales Konstrukt. Nur wer in der Gesellschaft mitreden und sich durchsetzen kann, welche Leistung nun wie hoch anzusiedeln ist, ist wiederum undemokratisch geregelt. Wer eine große Lobby hinter sich stehen hat, spricht am lautesten.

Daher stellt sich die Frage, ob der Leistungsbegriff überhaupt ein angemessener und fairer Gradmesser ist, um Menschen in irgendeiner Weise zu beurteilen, um Entscheidungen nach dem “Leistungsprinzip” zu fällen, oder gar den Wert oder “Unwert” eines Menschen an dessen “Leistung” festzumachen.

Hinter dem meritokratischen Schleier der “Leistung” verbergen sich schließlich all jene Ungleichheitsfaktoren, die sie zu großen Teilen bedingen, über die jedoch am besten allerseits geschwiegen wird.

Wenn wir also den Menschen nicht nach seinen Worten und auch nicht nach seinen Taten beurteilen sollen. Wonach dann?

Vielleicht nach seiner Menschlichkeit.

Ein Gedanke, 15.10.2020